Themengruppen 2018
Kultur und Gesellschaft – Johanna Chovanec, M.A. (Universität Hamburg / Universität Wien)
Wesentliche Ereignisse in der Geschichte der Türkei, wie der Übergang vom Imperium zum Nationalstaat, brachten nicht nur signifikante politische Machtverschiebungen mit sich, sie prägten auch das kulturelle Leben. Themen wie Europäisierung und Moderne sowie die Frage nach kultureller Identität wurden und werden in diesem Zusammenhang verhandelt. Auch Umbrüche wie Militärputsche oder die Gezi-Proteste spiegeln sich im Feld der Kultur wider. Unterdessen führte die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU zu einer Intensivierung des kulturellen Austausches zwischen EU-Mitgliedsstaaten und der Türkei. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Wandel findet in den unterschiedlichen Sparten der Kulturproduktion ihren Ausdruck: in Literatur, Theater, Film, Musik oder in den bildenden Künsten. Das Panel setzt sich mit den folgenden Fragen auseinander:
- Wie werden gesellschaftliche und politische Transformationen in unterschiedlichen Feldern der Kunst- und Kulturproduktion reflektiert?
- Wann waren Kunst und Kultur Ausdruck oppositionellen Widerstands, wann haben sie die offizielle politische Agenda mitgetragen? Auf welche Weise werden Zensur und Selbstzensur wirksam?
- Welche Formen des interkulturellen Austauschs zwischen der Türkei und anderen Ländern gab und gibt es? Wie wirken sich politische Krisen darauf aus?
- Wer „darf“ Kultur machen? Welche Rolle spielen Minderheiten?
Migration und Flucht – Gabriele Cloeters, M.A. (Universität Hamburg / 2017/18 Mercator-IPC Fellow)
Die Türkei ist nicht erst seit dem Krieg in Syrien durch Einwanderung und Binnenmigration geprägt. Verschiedene Flucht- und Migrationsursachen bewegten und bewegen Millionen von Menschen in und durch die Türkei. Die migrationsrechtlichen Bestimmungen in der Türkei haben weitreichende Implikationen für den sozialen, rechtlichen und ökonomischen Status von Migrant*innen und Asylsuchenden. Fluchtbewegungen großen Ausmaßes, wie die Migration aus Syrien, stellen derzeit die Asyl- und Migrationspolitik, die lokalen Administrationen sowie die Zivilgesellschaft vor große Umbrüche und Herausforderungen. Das Panel diskutiert unterschiedliche Aspekte und Dynamiken von Migration in der Türkei. Folgende Fragen stehen im Fokus:
- Wie haben sich seit der Gründung der Republik Türkei die staatliche Migrations- und Asylpolitik entwickelt?
- Welchen Einfluss haben die Medien auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Migration?
- Welche Rolle spielen lokale Administrationen, nichtstaatliche Akteur*innen und Organisationen, sowie migrantische Selbstorganisation für die soziale, rechtliche und ökonomische Positionierung von Migrant*innen?
- Welchen Einfluss haben aktuelle Migrationsbewegungen in und durch die Türkei auf die regionalpolitische Verortung der Türkei sowie auf die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU?
Akademische Freiheit und Bildung – Dr. Onur Inal (Universität Hamburg)
Die akademische Freiheit in der Türkei ist in großer Gefahr. Besonders seit dem Putschversuch im Sommer 2016 greift die türkische Regierung mit harter Hand durch und geht mit Disziplinarverfahren gegen Hunderte als oppositionell eingestufte Akademiker*innen vor. Betroffen sind unter anderem die sogenannten „Akademiker*innen für Frieden“, eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, die im Januar 2016 eine Petition unterzeichneten, in der das Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdisch besiedelten Gebieten kritisiert wurde. Die Folgen sind täglich spürbar: Unzählige Professor*innen, Dozent*innen und Hochschulangestellte wurden seitdem entlassen oder sogar festgenommen, Ausreiseverbote wurden verhängt und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Auch das Bildungswesen ist von weitreichenden Umstrukturierungen und der autoritären Politik Präsident Erdoğans betroffen. Die Islamisierung des türkischen Schulsystems schreitet zunehmend fort, und so ist etwa die Anzahl religiöser Imam-Hatip-Schulen enorm gestiegen. Regierungskritische Lehrer*innen werden entlassen, suspendiert und zwangsversetzt. Folgende Fragen sollen im Panel thematisiert werden:
- Wie ist der aktuelle Stand der akademischen Freiheit und Bildung in der Türkei?
- Welcher Widerstand formt sich gegen den Angriff auf die Freiheit in Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Türkei ebenso wie in der Diaspora?
- Welche langfristigen Auswirkungen haben die Einschränkungen der akademischen Freiheit und die Islamisierung des Bildungswesens in der Türkei?
- Wie kann der Gefährdung der akademischen Freiheit Einhalt geboten werden?
Das Städtische – Urszula Woźniak, M.A. (Humboldt-Universität zu Berlin)
Abstracts zu dieser Themengruppe
Städte sind sowohl Schauplatz als auch Medium sozialen und politischen Wandels. Von den Militärputschen über gewaltsame Auseinandersetzungen bis hin zu Protestbewegungen – in der Türkei manifestieren sich Umbrüche und Krisen immer auch im sozialen und physischen Gefüge sowie im kollektiven Gedächtnis der Städte. Städte sind es auch, in denen soziale, wirtschaftliche, ökologische und identitätspolitische Zukunftsmodelle laborhaft erprobt wurden und werden. Mit diesem Fokus auf Urbanität sollen folgende Fragen im Panel diskutiert werden:
- Welche Rolle spielen staatliche Akteure und Institutionen, sowie Praktiken des Alltags für die (Re-)Produktion von Ungleichheit im urbanen Raum? Ist die urbane Gesellschaft in der Türkei aktuell räumlich so fragmentiert wie sie polarisiert ist?
- Wie werden Subjektivitäten und Zugehörigkeit in der neoliberal konfigurierten und durch (Binnen-)Migration geprägten Stadt verhandelt?
- Wer sind die Akteur*innen und was sind die Intentionen, Dynamiken sowie Terrains urbaner Widerstandsbewegungen in der Türkei?
- Welche Bedeutung haben geopolitische Verschiebungen für die Logiken der Stadtplanung und Baukultur, etwa in Hinblick auf Imaginationen einer „Neuen Türkei“ oder bezüglich orientalischer sowie neo-osmanischer Vorstellungswelten?