100 Jahre Amharischunterricht
100 Jahre Amharisch-Unterricht an der Universität Hamburg
von Leonard Bahr
Der Unterricht des Amharischen an der heutigen Abteilung der Afrikanistik und Äthiopistik geht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück und ist so alt wie die Universität selbst. Seit dem Wintersemester 1919/20 wird an der Universität Hamburg – mit einigen kurzen Unterbrechungen – Amharisch-Unterricht angeboten. Sowohl deutschsprachige Professoren als auch angestellte Äthiopier unterrichteten im Laufe der Universitätsgeschichte die heutzutage von über 21,6 Millionen Muttersprachlern gesprochene semitische Sprache. Hierbei war die Lehrtätigkeit der Äthiopier meist ein Nebenverdienst, während sie parallel ein eigenes Studium zu bewältigen hatten. Zum Anlass des 100-jährigen Jubiläums im Jahr 2019 wird im Folgenden ein Überblick der Geschichte des Unterrichts und der Lektoren dargeboten. Anschließend werden Informationen über wichtige Lehrmaterialien bereitgestellt.
Geschichte des Amharisch-Unterichts an der Universität Hamburg
Mit der Gründung der Universität Hamburg 1919 ging das 1908 etablierte Kolonialinstitut in der Universität auf, und das Seminar für Kolonialsprachen wurde als nunmehr universitäres Seminar für afrikanische und Südseesprachen mit Promotions- und Habilitationsrecht versehen.
August Klingenheben (1886-1967), seit 1911 Mitarbeiter am Seminar, gab im Wintersemester 1919/20 den ersten Unterricht der amharischen Sprache, den Sprachkurs „Amharisch für Anfänger“. Da die deutschen Kolonien in Afrika nach Ende des ersten Weltkriegs (1914-1918) an den Völkerbund übertragen wurden und sie daher für die deutschen Afrikanist*innen als Forschungsfelder ausfielen, konzentrierte sich Klingenheben auf die Sprachen Äthiopiens und Liberias, d.h. auf die Sprachen solcher Gebiete, die keiner europäischen Kolonialmacht unterstanden. Klingenheben unterrichtete zunächst zusammen mit dem äthiopischen „Sprachgehilfen“ Wäldä Maryam Dästa (ወልደ ማርያም ደስታ), der von 1919-1925 mit ihm zusammenarbeitete und ihn auch beim Lehren der nordäthiosemitischen Sprache Tigrinisch unterstützte. Da Wäldä Maryam Dästa auch Oromo beherrschte, eine in Äthiopien weitverbreitete kuschitische Sprache, war er zudem Klingenhebens Frau Maria Klingenheben-von Tiling behilflich, die erste deutsche Afrikanistin, die neben Somali, Swahili und Bantusprachen auch über Oromo forschte. Schon Klingenheben unterrichte außerdem Gǝʿǝz, die Sakralsprache der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo Kirche. Den Amharisch-Unterricht teilte Klingenheben in die drei aufeinander aufbauenden Kurse „Amharisch für Anfänger“, „Amharisch für Fortgeschrittene“ und „Textlektüre“ auf.
In den Jahren 1933-1937 kam Yoḥannǝs Ḫaylu (ዮሐንስ ኃይሉ) als Lektor für Amharisch ans Seminar und unterrichtete auch Tigrinisch. Da er ebenfalls als Seemann arbeitete, kam es manchmal zu kürzeren Unterbrechungen.
Nach der Emeritierung Meinhofs wurde Klingenheben, der von 1930-1936 an der Universität Leipzig geforscht hatte, im Jahre 1936 sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für afrikanische Sprachen in Hamburg. Als ausgebildeter Semitist führte Klingenheben bereits an der Universität Leipzig begonnene Forschungen zu den Sprachen Amharisch, Tigrinisch, Tigre, Oromo und Somali fort. Der Zweite Weltkrieg behinderte die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs, nicht zuletzt dadurch, dass die nationalsozialistischen Rassengesetze die Einstellung von afrikanischen Lektoren erschwerte. Als letzter von den Nationalsozialisten eingesetzter Dekan der Philosophischen Fakultät wurde Klingenheben 1945 von den Briten suspendiert. Erst im Wintersemester 1947/48, nach der Wiederaufnahme seines Ordinariats, wurde wieder Amharisch angeboten und zwar als Amharisch I bis III mit anschließender Textlektüre. Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1954 unterrichtete Klingenheben weiter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Mälakä Ḫaylu (መላከ ኃይሉ), der auch Oromo sprach, von 1954-1958 der erste Amharisch-Lektor. Er studierte Musik und arbeitete nebenbei als Geschäftsmann. Besonders in Erinnerung blieb den Institutsmitgliedern sein roter Sportwagen.
Anfang der 1960er Jahre waren zunächst Dässaläññ Zäwde (ደሳለኝ ዘውዴ) (von 1960-1961) und dann Däǧäne Ḫǝllätä Wärq (ደጀኔ ኅለተ ወርቅ) (von 1961-1962) als Amharisch-Lektoren tätig. Däǧäne Ḫǝllätä Wärq studierte Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und unterrichtete auch Oromo. Klingenheben verfasste mit ihnen den Deutsch-Amharischen Sprachführer (1966), ein Buch, dessen erste 50 Seiten eine Beschreibung der amharischen Grammatik enthalten und dessen zweiter Teil ein deutsch-amharisches Wörterverzeichnis mit etwa 4500 Einträgen darstellt.
Täsfa Dästa (ተስፋ ደስታ), Amharisch-Lektor von 1962-1965, war ein Oberst zur Zeit der kaiserlichen Regierung, der aus politischen Gründen Äthiopien verließ. Trotz dieses Umstandes war er zum Staatsbesuch Seiner Kaiserlichen Majestät Haile Selassie I. geladen. Täsfa Dästa unterrichtete auch Amharisch in Köln und arbeitete später für die Deutsche Welle.
Im Jahr 1966 unterrichtete ʾAbba Tito Läṗisa (ቲቶ ለጲሳ). Neben Amharisch war er auch als Oromo-Lektor tätig. Er war Teilnehmer eines Priesterseminars in Addis Abeba, wurde aber auf Fürsprache von Johannes Lukas (1901-1980), seit 1954 Klingenhebens Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Afrikanistik, beurlaubt, und führte für eigene Studien experimentalphonetische Untersuchungen durch. Lukas stellte zahlreiche Äthiopier als Amharisch-Lektoren ein.
Täfärra Wände (ተፈራ ወንዴ) unterrichte Amharisch von 1967-1969. Er erwarb als erster Äthiopier zwei Doktortitel und wurde später Gesundheitsminister in Äthiopien zur Zeit des kommunistischen DERG-Regimes.
Nach Klingenheben und Lukas wurde 1970 der Österreicher Ernst Hammerschmidt (1928-1993) Professor auf dem Lehrstuhl der Afrikanistik. Er baute insbesondere die Äthiopistik aus. In seine Zeit fallen die Lehrtätigkeiten folgender Lektoren:
Gǝrma Bäšah (ግርማ በሻህ), von 1970-1972/74 (?) als Amharisch-Lektor tätig, kam von der Universität Lissabon nach Hamburg. Er publizierte über die portugiesisch-äthiopischen Beziehungen. Zu jener Zeit bot Hammerschmidt eine jahrelang währende Lehrveranstaltung zu amharischer Lektüre an, in der unter anderem der Kriminalroman Man Gäddäläw gelesen wurde. Gleichzeitig arbeiteten auch ʿAbdullahi ʾAddam Yusuf (ዐብዱላሂ አዳም ዩሱፍ) und Ḫayle Fida (ኃይሌ ፊዳ) als Oromo-Lektoren. Sie verfassten eine Grammatik in lateinischer Schrift auf Oromo, welches bisher in der Gǝʿǝz-Schrift geschrieben wurde. Ḫayle Fida wurde Ende der 1970er Jahre durch das kommunistische DERG-Regime in Äthiopien ermordet. Taddäsä Bäzzabbǝh (ታደሰ በዛብህ), der Nachfolger Gǝrma Bäšahs, von 1975-1976 (?) als Lektor tätig, war ein Ingenieur, der in der Tschechoslowakei studiert hatte. Nach ihm war Säyfä Mikaʾel ʾArʾaya (ሰይፈ ሚካኤል አርአያ) von 1976-1979/1977-1978 (?) Lektor. Er unterrichtete neben Amharisch auch Tigrinisch und schrieb eine Dissertation über die generative Phonologie des Tigrinischen.
Der erste Dauerstelleninhaber war von 1979-1995 Gäbrä ʾIyäsus Wäldä Mikaʾel (ገብረ ኢየሱስ ወልደ ሚካኤል). Er promovierte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und beherrschte mehrere semitische Sprachen. Nach der Emeritierung Hammerschmidts war Siegbert Uhlig (*1939) von 1990-2004 der Lehrstuhlinhaber der Äthiopistik. In seiner Zeit unterrichtete von 1997-2002 ʾAmsalu ʾAklilu (አምሳሉ አክሊሉ) Amharisch und Gǝʿǝz. Bereits in den 1960er Jahren promovierte dieser im Fach Philologie in Tübingen.
Seit 2003 ist Getie Gelaye (ጌቴ ገላዬ) der heutige Amharisch-Lektor sowie Lehrbeauftragter für das Seminar „Oralliteraturen Afrikas“ am Asien-Afrika-Institut. Amharisch I unterrichtet zudem Magdalena Krzyżanowska, die zurzeit eine Dissertation über die epistemische Modalität im Amharischen schreibt. Maija Priess, die Lektorin für Gǝʿǝz, teilt sich den Unterricht des Amharisch II mit Getie Gelaye.
Ein Ereignis von historischem Wert stellte der Workshop über das Unterrichten des Amharischen in Deutschland dar, der erste seiner Art, der am 1.-2. Februar 2018 im Hiob-Ludolf-Zentrum für Äthiopistik stattfand. Unter den anwesenden Vortragenden befand sich Prof. Dr. Ludwig Gerhardt, der bereits Amharisch-Student zur Zeit August Klingenhebens war.
Einige historische Werke über das Amharisch
Ein erstes wichtiges Werk zur Amharischen Sprache ist das 1698 von Hiob Ludolf (1624-1704) veröffentlichte Lexicon Amharico-Latinum sowie seine Grammatica linguae Amharicae. Seine Äthiopienstudien basieren zu einem Großteil auf seiner Zusammenarbeit mit dem äthiopischen Gelehrten ʾAbba Gregorius (1595-1658), der ihn 1652 in Gotha besuchte. Grundlegend ist zudem das Werk Die Amharische Sprache von Franz Praetorius (1847-1927), die er 1878/9 verfasste. Einen etwas neueren Wissensstand als den von Praetorius stellen die Grammatiken von Ignazio Guidi, veröffentlicht 1924 als Grammatica della lingua amarica, sowie jene von Marcel Cohen, veröffentlicht 1936 als Traité de langue amarique, dar. C.H. Dawkins‘ Fundamentals of Amharic ist 1969 erschienen. Eine heute wichtige Grammatik ist Wolf Leslaus Reference Grammar of Amharic.
Gegenwärtig bedeutende Lehrmaterialien
Im Unterricht bei Dr. Getie Gelaye wird vorwiegend David Appleyards Colloquial Amharic: A Complete Language Course (1995) verwendet. Zum Erlernen der amharischen Sprache hat sich zudem in Hamburg über viele Jahre Wolf Leslaus obengenanntes Amharic Textbook bewährt. Für deutschsprachige Studenten empfiehlt sich als zusätzliches Lehrmaterial das Lehrbuch der amharischen Sprache (1987) von Renate Richter. Als Nachschlagewerk ist die in Hamburg entstandene Amharische Grammatik (1980) von Pater Josef Hartmann geeignet. Als Wörterbuch empfiehlt sich das Amharic-English Dictionary Volume I ሀ-ነ und Volume II ነ-ፐ (1990) von Thomas L. Kane.
Äthiopisch orientierte Professoren und Lektor*innen an der Universität Hamburg
Professor | Lektor für Amharisch |
1. Dr. August Klingenheben (1919-1930[1]) / Wäldä Maryam Dästa (1919-1925) |
|
2. Yoḥannǝs Ḫaylu (1933-1937) | |
3. Mälakä Ḫaylu (1954-1958) | |
4. Dässaläññ Zäwde (1960-1961) | |
5. Däǧäne Ḫǝllätä Wärq (1961-1962) | |
6. Täsfa Dästa (1962-1965) | |
7. Dr. ʾAbba Tito Läṗisa (1966) | |
8. Dr. Dr. Täfärra Wände (1967-1969) | |
1. Dr. Ernst Hammerschmidt (1970-1990) | 9. Gǝrma Bäšah (1970-1972/74 ?) |
10. Taddäsä Bäzzabbǝh (1975-1976 ?) | |
11. Dr. Säyfä Mikaʾel ʾArʾaya (1976-1979) | |
2. Dr. Siegbert Uhlig (1990-2004) | 12. Dr. Gäbrä ʾIyäsus Wäldä Mikaʾel (1979-1995) |
13. Dr. ʾAmsalu ʾAklilu (1997-2002) | |
3. Dr. Alessandro Bausi (2009-Heute) |
14. Dr. Getie Gelaye (seit 2003) 15. Dr. Maija Priess (seit 2002 Ge’ez, seit 2012 Amharisch) 16. Magdalena Krzyżanowska |
[1] Auch noch später als Professor leitete Klingenheben den Unterricht.
Bibliographie
Ethnologue: Languages of the World. https://www.ethnologue.com/language/amh (zuletzt aufgerufen am 27.2.2019)
Gerhardt, Ludwig. 2004. Ethiopian Studies in Hamburg: A Personal Account. In: Verena Böll, Denis Nosnitsin, Thomas Rave, Wolbert Smidt und Evgenia Sokolinskaia (Hg.), Studia Aethiopica: In Honour of Siegbert Uhlig on the Occasion of his 65th Birthday. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 1-6.
Gerhardt, Ludwig. forthcoming. 99 Jahre Amharisch-Unterricht in Hamburg. Unveröffentlichte Niederschrift eines Vortrages zum Workshop: „Amharisch Unterrichten in Deutschland“ am 1.-2. Februar 2018.
Gerhardt, Ludwig, Roland Kießling und Mechthild Reh. 2008. Zur Geschichte der Afrikanistik in Hamburg. In: Ludwig Paul (Hg.), Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut: 100 Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg. Gossenberg: Ostasien Verlag, 163-192.
Getie Gelaye. 2010. The Teaching of Amharic in Germany የአማርኛ ቋንቋ ትምህርት በጀርመን አገር. Powerpoint-Präsentation auf der Konferenz „L’enseignement de l’amharique en Europe“ am 7.-8. Januar 2010 im INALCO, Paris.
Haberland, Eike. 1986. Three Hundred Years of Ethiopian-German Academic Collaboration, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.
Hammerschmidt, Ernst. 1968. Äthiopistik an deutschen Universitäten. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.
Hartmann, Josef. 1980. Amharische Grammatik. Äthiopistische Forschungen Bd 3. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.
Kalthoff, Horst. 2006. Ein Sprachgenie aus dem Wuppertal – der Orientalist und Afrikanist August Klingenheben (1886-1967) und die erste deutsche Afrikanistin – Maria Klingenheben-von Tiling (1886-1974). Geschichte im Wuppertal 15: 45-56.
Smidt, Wolbert. 2015. Aleqa Tayye: 1st Ethiopian scholar at Berlin University. Handout von der Ausstellung „Cultural Research from Germanophone Countries in Northeastern Africa: Stories and Histories” im April 2015 am Goethe-Institut Addis Abeba (zugänglich im Internet: https://www.frobenius-institut.de/images/stories/Ausstellungen/Aleqa%20Tayye%20leaflet.pdf; zuletzt aufgerufen am 7.2.2019).
Universität Hamburg. 2016. Asien-Afrika-Institut: Afrikanistik/Äthiopistik: Über die Abteilung: Geschichte. https://www.aai.uni-hamburg.de/afrika/ueber-die-abteilung/geschichte.html (zuletzt aufgerufen am 8.2.2019).
Universität Hamburg. 2016. Asien-Afrika-Institut: Südostasien: Über die Abteilung: Geschichte. https://www.aai.uni-hamburg.de/soa/ueber-die-abteilung/geschichte.html (zuletzt aufgerufen am 9.2.2019).
Gallerie

Foto: Gelaye
Lehrbücher des Amharischen

Foto: Klingenheben
August Klingenheben – Erster Lektor für Amharisch

Foto: Klingenheben
Klingenheben mit Mälakä Ḫaylu um 1955

Foto: Gelaye
Dr. Getie Gelaye - Lektor für Amharisch

Foto: Krzyzanowska
Magdalena Krzyzanowska - Lehrbeauftragte für Amharisch