Paradigmen der Afrikanistik
Geschichte der Afrikanistik in Hamburg
Überblick
Die Afrikanistik gehört zu jenen Disziplinen, die bereits 1909, also zehn Jahre vor Gründung der Universität, innerhalb des Hamburger Kolonialinstituts mit einer etatisierten Professur verankert wurden. Damit verfügt Hamburg über den weltweit ältesten dezidiert afrikanistisch besetzten Lehrstuhl.[1]
Organisatorisch ist die Hamburger „Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik“ heute gemeinsam mit fünf weiteren Abteilungen, fester Bestandteil des Fächerverbunds am Asien-Afrika-Institut. Im Gegensatz zu diesen fünf Abteilungen, die sich überwiegend auf Regionen des asiatischen Kontinents (Japan, China, Vorderer Orient, Indien/Tibet, Südostasien) spezialisieren und hierbei ihren Denominationen gemäß Geschichte und Kultur bzw. Sprache(n) und Kulture(n) berücksichtigen, sieht sich die Afrikanistik in erster Linie für die Sprachen des afrikanischen Kontinents verantwortlich. Wenn solche Fokussierung in kolonialen Zeiten noch durch praktische Anwendungszwecke motiviert war, z.B. durch die Notwendigkeit des Sprachunterrichts für angehende Kolonialbeamte, Kaufleute und Missionare, so sind heutzutage methodologische Gründe sowie die Grenzen sinnvoller fachlicher Überschaubarkeit dafür ausschlaggebend. Anders als in den asiatischen Kultur(groß)räumen ist in Afrika eine bodenständige kulturelle und sprachliche Vielfalt nie durch eine einzige dominierende autochthone Reichsbildung mit hegemonialem kulturellen Anspruch auf der Basis einer eigenen Schrifttradition flächendeckend, was ja in diesem Fall kontinentweit hieße, überlagert worden. In der Tat ist die einzige Erfahrung, die afrikanische Gesellschaften fast kontinentweit verbindet, die des Kolonialismus. Sie allerdings zur Grundlage einer Disziplin zu erheben, die sich mit „Afrikanität“ befasst, könnte ein Fach wie kritische Kolonialstudien innerhalb einer „Europäistik“ sicher konstituieren, für ein Fach wie die Afrikanistik aber wäre es als neokoloniale Perversion vollkommen verfehlt. Darüber hinaus bleibt die wissenschaftliche Erforschung der mehr als 1500 afrikanischen Sprachen auch nach über 100jähriger Geschichte des Fachs in Hamburg eine große Herausforderung.
Der bisherige Entwicklungsweg der Hamburger Afrikanistik von Beginn ihrer Verankerung im Hamburger Kolonialinstitut im Jahre 1909 bis zum heutigen Zeitpunkt lässt sich in fünf Etappen einteilen, die mit ihren makropolitischen Rahmenbedingungen und zeitgeschichtlichen Strömungen die Ideen, Paradigmen, Ziele und Anwendungen der Afrikanistik im Allgemeinen und der Hamburger Afrikanistik innerhalb des deutschen Rahmens im Besonderen entscheidend mitgeprägt haben. Dem frühen Aufblühen der Hamburger Afrikanistik, das bis zum Ende des 1. Weltkriegs durch koloniale Aspirationen beflügelt war, und ihrem Wachsen in eine konzeptionelle internationale Führungsrolle, folgte unter dem Nationalsozialismus ein kurzes Aufflackern der Hoffnung auf neokoloniale Relevanz. In der Nachkriegszeit und der Phase des Wiederaufbaus erstarkte eine integrierte kulturlinguistische Ausrichtung der Afrikanistik und führte zu inhaltlichen und organisatorischen Neuorientierungen, die der Afrikanistik zum einen durch die politische Unabhängigkeit großer Teile Afrikas zuwuchsen und zum anderen aufgrund inneruniversitärer Umstrukturierungen infolge der Abkehr von der Ordinarienuniversität geboten waren. Die gegenwärtig andauernde Phase der globalen Ökonomisierung und des interdisziplinären Wissenschaftsmanagements sieht die Afrikanistik als kleines Fach in einem Spagat zwischen vielfältigen wechselnden Schwerpunktsetzungen.[2]