Etablierung einer integrierten kulturlinguistischen Ausrichtung
Etablierung einer integrierten kulturlinguistischen Ausrichtung
Nachdem die zweifelhaften neokolonialen Hoffnungen mit Untergang des Dritten Reichs zerschlagen waren und sich die führenden Vertreter der Hamburger Afrikanistik teilweise langwierigen Entnazifizierungsverfahren stellen mussten, wurde im Anschluss zunächst bedachtsam jegliche, auch vermeintliche Politisierung vermieden. Dies stand in deutlichem Gegensatz zur Afrikanistik der damaligen DDR, die sich im Rahmen antiimperalistischer Rhetorik gezielt Themen der Sprachsoziologie und Sprachpolitik in Afrika zuwandte. Erst im Kielwasser der Studentenproteste der späten 1960er Jahre öffnete sich die Hamburger Afrikanistik wieder verstärkt politischen Impulsen. Stattdessen standen Nachkriegszeit und Wiederaufbau im Zeichen der Etablierung und stetigen Konsolidation einer integrierten kulturlinguistischen Ausrichtung in der Afrikanistik.
Zunächst kam nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Seminarbetrieb nur langsam in Gang. Zwar war der Bestand der Bibliothek, der damals bereits um die 6.000 Bände umfasste, von einer Zerstörung durch Bombenangriffe verschont geblieben, doch verhinderten personale Engpässe einen normalen Lehrbetrieb. Klingenheben war der letzte von den Nazis eingesetzte Dekan und als solcher amtsenthoben worden. Dammann war bis 1949 in Kriegsgefangenschaft. Einzig Emmi Kähler-Meyer sorgte in der Nachkriegszeit für Kontinuität in Forschung und Lehre. Im Alleingang hielt sie nicht nur den Vorlesungsbetrieb aufrecht, sondern führte auch die Zeitschrift „Afrika und Übersee“, die Meinhof ihr persönlich „vererbt“ hatte, seit 1944 und durch die schwierige Nachkriegszeit hindurch weiter. 1949 wurde sie außerplanmäßige Professorin, 1961 Oberassistentin und 1966 wissenschaftliche Rätin und Professorin.
1954 übernahm Johannes Lukas (1901-1980) als Nachfolger Klingenhebens den Lehrstuhl und etablierte – in Fortsetzung der deutschen Tradition von Humboldtscher Prägung – eine Ausrichtung der Afrikanistik, die Linguistik und Kulturwissenschaft zusammenführte, deutlich markiert durch die von ihm 1956 veranlasste Umbenennung des „Seminar für Afrikanische Sprachen“ in „Seminar für Afrikanische Sprachen und Kulturen“. Bereits von 1934 bis 1941 dem Seminar durch Lehraufträge und als „Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“ verbunden, war Lukas während des Zweiten Weltkriegs an die Auslandshochschule Berlin versetzt worden, wo er die sprachlichen Quellen aus dem Nachlass der Afrika-Reisenden Heinrich Barth und Gustav Nachtigal bearbeitete und durch die Herstellung von Referenzgrammatiken eine Neu-Eroberung deutscher Kolonien mit vorbereiten sollte. Seine akribischen Analysen der saharanischen und tschadischen Sprachen Nigerias, Kameruns und des Tschad bestechen bis heute durch ihre hohe Qualität, insbesondere im phonetischen Bereich. An das Kanuri, eine in Nigeria, Niger, Kamerun und im Tschad verbreitete saharanische Sprache, hatte Lukas sich in mehreren Schritten herangearbeitet: seine Wiener Dissertation beruht noch auf Literaturstudien und der Transkription, Übersetzung und Analyse von Kanuri-Manuskripten in arabischer Schrift. Als nächstes nahm er Kontakt zu Kanuri-Studenten an der Al-Azhar Universität in Kairo auf. Schließlich erlaubte ihm ein Stipendium des International African Institute in London eine Feldforschung im Kanuri-Sprachgebiet am Tschadsee. Lukas‘ Subklassifikation der saharanischen und tschadischen Sprachen (bei ihm noch „Zentralsaharanisch“ und „Tschadohamitisch“) ist bis heute gültig.
Lukas’ außerordentliche Qualitäten als akademischer Lehrer bezeugt die große Zahl seiner Schülerinnen und Schüler, die er nach Hamburg zog, gezielt auf unterschiedliche Teilbereiche der Afrikanistik ansetzte und die dem Fach auch nach der Promotion in Hamburg verbunden geblieben sind bzw. das Fach an anderen deutschsprachigen Universitäten vertraten: Carl Hoffmann (Promotion 1955) und Hermann Jungraithmayr (Promotion 1956) als Spezialisten für das Tschadische, Alfred Willms (Habilitation 1970) als Fachmann für das Berberische, Ludwig Gerhardt (Promotion 1967) mit einem Schwerpunkt auf den Benue-Kongo-Sprachen des nigerianischen Plateaus, Inge Hofmann (Promotion 1967) als Fachfrau für das Meroitische, Klaus Schubert (Promotion 1970) mit Schwerpunkt im Schnittbereich zwischen Tschadistik und Saharanistik, H. Ekkehard Wolff (Promotion 1972) als Spezialist für die Tschadistik, Norbert Cyffer (Promotion 1974) als Saharanist und Veronika Six (Promotion 1973) als Äthiopistin. Hilke Meyer-Bahlburg (Promotion 1972), die Lukas an die tschadischen Sprachen Hausa und Musgu herangeführt hatte, übernahm 1981 von Emmi Kähler-Meyer die Betreuung der Zeitschrift „Afrika und Übersee“. Heide (Reboul‑)Mirt, von Lukas von Wien nach Hamburg geholt und hier 1969 und 1970-71 als Assistentin tätig, lieferte eine bahnbrechende Beschreibung der tschadischen Sprache Mandara, die durch ihre Analyse insbesondere der Vokale im Zentraltschadischen die Vorstellungen von phonologischen Universalien revolutionierte.
Lukas’ Nachfolger wurde 1970 der österreichische Orientalist, Theologe, Jurist und altkatholische Priester Ernst Hammerschmidt (1928-1993), der nach koptologischen Studien Äthiopien als Arbeitsgebiet gewählt hatte. Seine Amtszeit markiert den Beginn der institutionellen Verankerung eines – bereits durch Klingenheben gelegten – äthiopistischen Schwerpunkts innerhalb der Afrikanistik, der durch die weiteren Nachfolger Siegbert Uhlig und Alessandro Bausi verstetigt und seit 1994 auch im Namen „Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik“ sichtbar verankert wurde.[1]
Die Nachfolge von Kähler-Meyer trat 1970 der österreichische Pater und Missionar Anton Vorbichler (1921-1999) an, der neben ethnologischer und religionswissenschaftlicher Expertise eine Spezialisierung auf zentralsudanische Sprachen einbrachte. Er war 1964 mit einer phonologischen und morphologischen Beschreibung der Sprache der Balese im Ituri-Urwald promoviert und 1968 mit einer umfangreichen Grammatik der Sprache der Mamvu habilitiert worden. Beide Sprachen hatte er 1954-1960 als Missionar ausführlich in seinem Arbeitsgebiet im Kongo studieren können. 1974 wurde Vorbichler aus Hamburg weg- und als Ordinarius auf den Lehrstuhl für vergleichende Religionswissenschaft an die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien berufen.
In Person dieser beiden Professoren – Hammerschmidt als geweihter Priester der altkatholischen Kirche und Pater Vorbichler als Missionar – traten noch einmal in aller Deutlichkeit die theologischen Verwurzelungen zutage, die die Afrikanistik infolge der Missionarstradition und der Ursprünge in der Orientalisitk von Anfang an durchzogen. So war bereits der erste Lehrstuhlinhaber Carl Meinhof ursprünglich Pastor in Pommern. Sein Nachfolger Klingenheben hatte neben Orientalistik auch Theologie studiert. Ernst Dammann, Pastor sowohl in Pinneberg als auch 1933-1937 in der evangelischen Kirchengemeinde in Tanga, wurde nach seiner Tätigkeit in Hamburg Ordinarius für Vergleichende Religionsgeschichte in Marburg. Siegbert Uhlig, Hammerschmidts Nachfolger, war ursprünglich evangelischer Pastor in Rostock.
[1] Diese Umbenennung scheint wenig glücklich, da sie einen Gegensatz zwischen Afrika und Äthiopien konstruiert und suggeriert, dass Äthiopien eine Sonderstellung genieße, die solcher wissenschaftspolitischen Berücksichtigung zugrundeliege. Dies wirkt bizarr und ruft im Ausland und gerade auch bei nicht-äthiopischen afrikanischen Partnerinnen und Partnern Assoziationen einer aus der Schriftkultur begründeten kulturellen Überlegenheit Äthiopiens wach.