Afrikanistik während des Nationalsozialismus
Die Hamburger Afrikanistik während des Nationalsozialismus
Die Phase des Nationalsozialismus belebte koloniale Aspirationen Deutschlands kurzfristig wieder. 1937 war fast das gesamte Lehrpersonal des „Seminar für afrikanische Sprachen“ – Dammann (1931), Meinhof (1933), Klingenheben (vor 1935), Meyer (1937), Lukas (1937) – der NSDAP beigetreten, motiviert durch die Hoffnung auf Rückgewinnung deutscher Kolonien, die der Afrikanistik verlorene Anwendungs- und Forschungsperspektiven verschaffen und ihr wieder zu mehr gesellschaftlicher und somit finanzieller Relevanz verhelfen würde. Diese Hoffnung wurde z.B. dadurch genährt, dass seit Mitte der 1930er Jahre ein gewisses praktisches Interesse an der Afrikanistik wieder aufkeimte, indem z.B. Swahili-Kurse im Rahmen von „Kraft durch Freude“ und von der Reichswehr angefordert wurden.
Nachdem Meinhof 1935 im Alter von 78 Jahren emeritiert war, trat mit August Klingenheben (1886–1967) ein Semitist seine Nachfolge an, der neben seiner Spezialisierung auf semitische und kuschitische Sprachen des Horns von Afrika auch eine Reihe neuer westafrikanischer Schwerpunkte in die Hamburger Afrikanistik einbrachte, so z.B. zum Vai, zum Ful und zum Hausa. Nach Promotion über „Die lautliche Gestalt des Hausa-Dialekts von Katagum“ 1920 in Leipzig hatte Klingenheben sich in Hamburg mit einer vergleichenden Lautlehre der sehr unterschiedlichen Ful-Dialekte habilitiert und bekam als Afrikanist zu spüren, dass nach dem Ersten Weltkrieg deutsche Forscher nicht mehr ohne weiteres Zugang zu afrikanischen Gebieten erhielten. So wich er nach Äthiopien und Liberia aus, den einzigen Ländern Afrikas, die nicht Kolonien europäischer Mächte waren. Den äthiopischen Schwerpunkt, durch seine Ausbildung als Semitist zu Leipziger Zeiten bereits gelegt, baute er in Hamburg durch Forschung und Lehre zu den modernen Sprachen des Horns von Afrika – Amharisch, Tigrinya, Tigre, Oromo, Somali – aus und schuf damit die Grundlage für die spätere Berufung eines Äthiopisten auf die afrikanistische Professur. Bei der Etablierung des liberianischen Forschungsschwerpunkts kam Klingenheben der Kontakt zum Generalkonsul Liberias, Momolu Massaquoi, zu Hilfe – einem in Hamburg ansässigen Vai-Sprecher, dessen Großvater zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene indigene Silbenschrift für diese Sprache entwickelt hatte. So wandte sich Klingenheben – in Kooperation mit Momolu Massaquoi – der Erforschung von Sprache und Schrift der Vai zu. Darüber hinaus leistete Klingenheben Herausragendes für die Erforschung des Ful, einer atlantischen Sprache, die in zahlreichen Gebieten des Sahelgürtels von Senegal bis Äthiopien von einer traditionell hirtennomadischen, in Teilen aber auch städtischen Bevölkerung gesprochen wird. So wies er durch seine scharfsinnige Analyse des enorm komplexen Nominalklassensystems dieser Sprache nach, dass das Ful entgegen Meinhofs Annahme keineswegs mit den afroasiatischen sexusbasierten Klassensprachen, sondern vielmehr mit den westafrikanischen Klassensprachen des Niger-Kongo-Phylums verwandt ist – womit er der Hamitentheorie Meinhofs implizit die essentielle sprachwissenschaftliche Grundlage entzog. Die Tschadistik schließlich hat Klingenheben ebenfalls nachhaltig geprägt. So ist die von ihm 1927/28 formulierte Regelmäßigkeit bei Veränderungen im Silbenauslaut des Hausa bis heute in der Afrikanistik als "Klingenheben’s law“ bekannt.
In dieser Phase entwickelten sich auch andere MitarbeiterInnen, die schon Meinhof ans Seminar geholt hatte. Ernst Dammann (1904-2003), seit 1930 in der Hamburger Afrikanistik tätig, wurde 1937 zum Wissenschaftlichen Assistenten ernannt und habilitierte sich 1939. Nach zehnjähriger Berufspause aufgrund von Kriegsdienst, Gefangenschaft und eines langwierigen Entnazifizierungsverfahrens wurde er 1949 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1957 ging er als Nachfolger Diedrich Westermanns an die Humboldt-Universität nach Berlin und 1961 nach Marburg, wo er eine Professur für Vergleichende Religionswissenschaft und für Afrikanistik wahrnahm. In der Afrikanistik hat er sich bleibende Verdienste durch vergleichende bantuistische Arbeiten und durch Editionen von Manuskripten klassischer Swahili-Dichtungen erworben.
Emmi Kähler Meyer (1903-1998) kam als Quereinsteigerin in die Afrikanistik. Seit 1927 als Bibliothekarin und Sekretärin am Seminar, schloss sie parallel ein Studium der Afrikanistik ab und wurde ab 1933 mit der Abhaltung von Sprachkursen beauftragt. Mit ihrer Dissertation zur vergleichenden Lautlehre der Bantusprache Nyanja (1936) und ihrer Habilitation zum Mambila (1939) legte sie einen Schwerpunkt in der Bantuistik und führte hier die Arbeit Meinhofs, vor allem im Bereich der Tonologie, fort.
Auch wenn die Hamburger Afrikanistik fast geschlossen nationalsozialistisch umgeflaggt hatte, so war diese Haltung doch offenbar von reinem Opportunismus getragen und hat sich kaum in den wissenschaftlichen Arbeiten niedergeschlagen. Klingenhebens Œuvre beispielsweise zeichnet sich durch das Fehlen jener nationalchauvinistischen und rassistischen Theorien aus, die noch Meinhofs Werk zu den „Sprachen der Hamiten“ zugrunde lagen. Systematische Forschungen hatten längst gezeigt, dass die vermeintlich primitiven Sprachen Afrikas den europäischen an Komplexität in nichts nachstanden. Wo früher strukturelle Defizite gesehen worden waren, wurde nun immer deutlicher, dass die Defizite vielmehr auf Seiten der europäischen Betrachter lagen, die wesentliche Strukturmerkmale afrikanischer Sprachen entweder ganz übersehen oder in ihrer funktionalen Tragweite nicht erkannt oder unterschätzt hatten. Zudem gewährte das intensive Studium afrikanischer Sprachen in zunehmendem Maße auch tiefere Einblicke in die komplexen lokalen Kulturen, insbesondere die Rechtsvorstellungen und den Schatz oraler Literaturen, den diese Sprachen beherbergen, so dass die Annahme der kulturellen Unterlegenheit afrikanischer Völker zusehends als grobes Vorurteil entlarvt wurde.