Zwischen Protest, Propaganda und Zensur: Haiku während des Asiatisch-Pazifischen Krieges (1937–1945)Vortrag von Martin Thomas (M.A.), Köln
25. April 2023

Foto: M. Thomas
Es gibt wohl kaum keine andere lyrische Form, die sich weltweit so großer Beliebtheit erfreut wie das japanische Haiku. Daher verwundert es nicht, dass in jüngerer Zeit durch Organisationen wie die Haiku International Association (Kokusai haiku kyôkai) vermehrt Anstrengungen unternommen werden, das Haiku offiziell als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkennen zu lassen. Haiku, so heißt es, seien aufgrund ihrer festen Struktur leicht zu dichten. Durch die Einbindung eines Jahreszeitenwortes seien sie ferner Ausdruck einer harmonischen Beziehung zur Natur. Und seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird auch damit geworben, dass das Haiku eine Literatur des Friedens sei.
Tatsächlich stellt eine solche Darstellung des Haiku nichts anderes als eine bewusste Negation dessen tatsächlicher Geschichte dar. So kennt das moderne Haiku sowohl Haiku in freier Form als auch ohne Jahreszeitenbezug. Zudem war das Haiku mitnichten stets nur auf Frieden bedacht. Deutlich wird dies, wenn man sich die Gattung während des Asiatisch-Pazifischen Krieges (1937–1945) anschaut: Schnell waren japanische Dichterinnen und Dichter bereit, ihren Beitrag für die geistige Mobilmachung der Bevölkerung zu leisten.
Vor diesem Hintergrund möchte der Vortrag einen Überblick über die ideologischen Dimensionen des Genres der Kriegs-Haiku (sensô haiku) während des Asiatisch-Pazifischen Krieges geben. Dabei soll ebenso auf die lyrische Propaganda für als auch auf den lyrischen Protest gegen den Krieg eingegangen werden. Neben den Gedichten selbst werden auch die historischen Bedingungen ihrer Entstehungszeit betrachtet.
Überdies soll der Aspekt der Institutionalisierung des Haiku in nationalistischen Vereinigungen wie der „Japanischen Haiku-Dichter Gesellschaft“ (Nihon haiku sakka kyôkai, 1940) thematisiert werden. Ziel ist es, ein umfangreiches Bild des Verhältnisses von Literatur und Politik im genannten Zeitraum zu zeichnen, das abschließend um die Frage nach der Aufarbeitung der Geschehnisse nach dem Ende des Krieges ergänzt wird.
Martin Thomas studierte Japanologie und Germanistik in Leipzig, Nagoya und Kyôto. Sein primäres Forschungsinteresse gilt dem Verhältnis von Politik und Literatur am Beispiel moderner japanischer Kurzlyrik.
Der Vortrag findet statt
im Asien-Afrika-Institut, Raum ESA-O 122 (Edmund-Siemers-Allee 1, Flügel Ost)
am Dienstag, den 25. April 2023, ab 18.00 Uhr.
Diese Veranstaltung erfolgt in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG).